Predigt zum Oster-Sonntag von Bischof Dr. Wolfgang Huber am 12. April 2009

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Predigt zum Oster-Sonntag von Bischof Dr. Wolfgang Huber am 12. April 2009

Bischof Dr. Wolfgang Huber

Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Predigt am Ostersonntag

Berliner Dom, 12. April 2009

(Markus 16,1-8)

I.
Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.

Liebe Gemeinde, was für ein Osterevangelium in diesem Jahr! Kein österlicher Freudengesang. Vom Osterlachen über die Ohnmacht des Todes ganz zu schweigen. Die Auferweckung des Toten hat sich schon vollzogen, und trotzdem: Zittern und Entsetzen.

Angstvoll waren die Frauen zum Grab gekommen. Früh am Morgen des Tages hatten sie sich aufgemacht. Sie wollen wenigstens dem Leichnam Jesu eine letzte Ehre erweisen. Innerlich sind sie unfrei; gefangen von Furcht und Sorge. Fragen quälen sie: Wie sollen wir an Jesus herankommen? Wie werden wir den Stein beiseite schaffen können?
Weiter brauchen wir ihrem Weg gar nicht zu folgen. Denn es ist dieser Stein, der unser Osterfest mit dem österlichen Weg der Frauen verbindet. Es ist der Stein der Sorge und der Fels quälenden Fragens, der sich in diesem Jahr wie ein schier unüberwindbares Hindernis vor die Zukunft geschoben hat.

Jeder von uns kennt Beispiele dafür. Nur eines unter vielen: Michael war leitender Mitarbeiter einer bekannten Firma. Seinen Arbeitsplatz hielt er für absolut krisenfest. Er baute für sich und seine Familie ein Haus. Den Kindern fehlte es an nichts. Dann brach die Finanz- und Wirtschaftskrise in unser Land ein und erreichte wie ein Dieb in der Nacht auch seine Firma. Seine Überstunden häuften sich, Arbeitseinsätze ohne Feierabend waren an der Tages- und schließlich auch an der Nachtordnung. Alles wurde versucht, um den Fall der Firma zu verhindern. Doch schließlich, Mitte Januar, wird er zum Gespräch mit dem Chef geladen: „Nehmen Sie es bitte nicht persönlich. Wir wissen Ihre herausragende Kompetenz zu schätzen. Wir haben es uns nicht leicht gemacht.“

Michael wird entlassen. Nun bezieht er ein monatliches Arbeitslosengeld von der Agentur für Arbeit. Der Dienstwagen ist weg, die Sicherheit auch. Die monatlichen Raten für das Haus drücken ganz anders als vorher. Seine Frau – immerhin – arbeitet noch in Teilzeit als Bibliothekarin. Doch die Familie spürt rasch, wie das Geld knapp wird. Auch für die Kinder ist nicht mehr alles drin, was eben noch selbstverständlich war. Den geplanten Osterurlaub hat die Familie gestrichen. „Das können wir uns dieses Jahr nicht leisten“, erklären die Eltern den Kindern. „Und wie wird es im Sommer? Und nächstes Jahr?“, fragen die Kinder zurück.
Die Eltern wissen nicht, wie es weitergehen wird. Wie können sie ihren Kindern sagen, dass sie machtlos sind?

II.
Ostern 2009 ist voll von derartigen Geschichten, die wie Felsen den Weg versperren, Sorgengeschichten, die wie Steine das Licht der Hoffnung verdunkeln. Menschen gehen durchs Dunkel, ungewiss ist der nächste Schritt, sie müssen aufpassen, dass sie nicht stolpern. Ähnlich wie bei einem tastenden Wandel durch die Finsternis verhält es sich mit der Gemütslage in unserem Land. Man wagt den nächsten Schritt, doch man weiß nicht, wohin er führt. Sicher ist nur: Stehen bleiben kann man nicht. Wie muss man gehen, ohne zu straucheln? Wie passen Vorsicht und Entschlossenheit zusammen?
Seit Monaten bestimmt eine beispiellose Krise die Weltöffentlichkeit.

Ein exportabhängiges Land wie Deutschland betrifft sie besonders hart. In den Auftragsbüchern vieler Firmen herrscht gähnende Leere; viele sind froh, wenn es bei Kurzarbeit bleibt. Fragt man die Experten nach der Zahl der Arbeitslosen, mit der zu rechnen sei, hüllen sie sich in vielsagendes Schweigen. Bange Fragen kreisen in den Köpfen, und die Ahnung greift Raum, dass eine lange Periode beständig wachsenden Wohlstands an ein Ende kommt. „Sind die Leute von der Krise betroffen, fallen sie teilweise in eine richtige Schockstarre, als wäre das Licht ausgegangen.“ So beschreibt es ein Wirtschaftspsychologe. Pfeiler des Lebens, die unverrückbar schienen, tragen nicht mehr. Kaum Hoffnung. Nirgends?

Zahllose Menschen haben sich wie die drei Frauen am Morgen des Ostersonntags aufgemacht. Sie sind auf der Suche nach einer neuen Ordnung. Sie wollen festen Boden unter den Füßen. Sie halten Ausschau nach einem Grund, der ihnen Sicherheit und Verlässlichkeit bietet, unabhängig von Geldsorgen und Wirtschaftskrise. Das Denken in kurzfristigen Gewinnerwartungen und Quartalsberichten soll abgelöst werden von langfristigen Prognosen und von nachhaltigen Strategien. Der Sinn von milliardenschweren Zahlungen für die künstliche Verlängerung einer Wirtschaftslogik, die sich als nicht tragfähig erwiesen hat, leuchtet immer weniger ein. Die Menschen fragen vielmehr nach Lebensformen und nach Ausgestaltungen wirtschaftlichen Handelns, die Nachhaltigkeit versprechen. Sie sehnen sich nach einem Wandel der Werte, nach dem Fest der Verwandlung.

III.
Maria von Magdala, die andere Maria und Salome erreichen das Grab des Totgeglaubten. Zu ihrer Überraschung finden sie den Stein beiseite gewälzt. Der Fels, der ihnen unüberwindlich erschien, die Sorge, die sie gedrückt hielt, ist beiseite geräumt. Jesus, den sie in der Grabeshöhle vermuten, ist gar nicht mehr dort. An der Stelle, an der sie mit dem Ende rechneten, erwartet die Frauen Neues. Die dunklen Ahnungen erfüllen sich nicht. Die Spielregeln der alten Ordnung sind durchkreuzt: der, der tot war, ist nicht am vorgesehenen Ort.

Statt seiner wartet ein Bote Gottes mit einer Nachricht auf die Ankömmlinge: „Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier.“

Unmerklich hat sich hinter dem Fels der Fragen und hinter den Steinen der Sorge eine neue Bewegung in Gang gesetzt. Eine neue Perspektive tut sich auf. „Er ist auferstanden, er ist nicht hier.“ Der Tod hat Jesus von Nazareth nicht festhalten können. Aus der dunklen, muffigen Grabeshöhle heraus geht es in den neuen, vom Sonnenlicht durchfluteten Tag. Der Glaube trägt. Es gibt die Hoffnung auf eine neue Ordnung. Es gibt eine Form des Miteinander, die verlässlich ist, das Miteinander aus Liebe. Es gibt ihn, den verlässlichen Grund.

IV.
Zu diesem Weg aus der Angst in die Gewissheit lädt Ostern 2009 uns alle ein. Dass wir durch Angst gelähmt werden, ist die größte Gefahr der gegenwärtigen Krise; eine christliche Lebenshaltung ist indessen dadurch geprägt, dass die Hoffnung stärker ist als die Angst. Dass wir die Verführbarkeit des Menschen ignorieren, hat zu den Irrwegen auf den Finanzmärkten maßgeblich beigetragen; christliches Denken rechnet dagegen nüchtern mit dieser Verführbarkeit und tritt dafür ein, dem Machtmissbrauch mit klaren Regeln zu wehren. Dass wir dabei nicht andere zu Sündenböcken machen, sondern auch die eigenen Fehler einräumen, gehört jedoch ebenso zur christlichen Lebenshaltung. Vor allem aber ist sie dadurch bestimmt, dass sie nicht nur auf den eigenen Nutzen schaut, sondern sich an der Liebe zum Nächsten orientiert.

Glaube, Hoffnung und Liebe sind die Summe der christlichen Existenz. Wer glaubt, lässt sich von Zuversicht bestimmen; wer hofft, überlässt der Sorge nicht das letzte Wort; wer liebt, gibt keinen Menschen auf. Das ist der Geist von Ostern. Von Anfang an ist Ostern deshalb das wichtigste Fest der Christenheit. Dieses Fest feiert die Auferweckung des Gekreuzigten, den Triumph des Lebens über den Tod, den Sieg der Hoffnung über die Angst.

V.
Unsere Mitmenschen haben Zuversicht verdient; wir Christen sind ihnen den Geist des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe schuldig. Unsere Kinder haben ein Recht darauf, dass wir unser Handeln vor ihnen verantworten. Menschen, die den Mut haben, in aller Öffentlichkeit den
Ernst der Situation zu beschreiben, wecken Vertrauen – und was würde heute dringender gebraucht als Vertrauen! Transparenz und Verantwortlichkeit müssen wieder Platz greifen, vor allem in der internationalen Finanzordnung. Dazu wurde Wichtiges zwischen den zwanzig wirtschaftsstärksten Ländern der Welt verabredet.

Dass bei den Überlegungen die Bedürfnisse der Armen und die Sorge um eine nachhaltige Entwicklung eine erhebliche Rolle spielten, habe ich dankbar wahrgenommen. Nun müssen konkrete Schritte folgen. Es bleibt zu hoffen, dass die guten Ansätze dabei nicht durch den Eigennutz einzelner Länder geschwächt werden.

VI.
Michael und seine Frau haben ihre Kinder ins Vertrauen gezogen. Sie haben mit ihnen über den Wert des Geldes gesprochen und über Werte, die mit Geld nicht zu kaufen sind. Miteinander denken sie darüber nach, wie sie als Familie die Lage stemmen können. Sie wollen zusammenstehen; das ist ihnen jetzt bewusst geworden. Der Fels des Fragens löst sich dadurch nicht einfach auf. Aber die Familie hat miteinander eine Basis entdeckt, die trägt, einen Halt, der ihre gemeinsame Zuversicht bestärkt.
Auf den auferstandenen Christus richtet sich ein Glaube, der auch den Stürmen standhält. Gottes neue Ordnung weckt eine Hoffnung, in der sich auch das Stein-schwere, das unsere Seelen belastet, in neues Leben wandelt.

Wenn Gottes Liebe uns packt, wird sie in uns lebendig und wirksam. Gott weckt in uns Mut und Freude, die sich nicht mehr umkehren lassen. Denn er hat die entscheidende Wende vollzogen: „Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Halleluja. Amen.

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